24.02.2005

Drastische Verschlechterung für chronisch Kranke:
"Krankheitsbedingte Mangelernährung reicht als Grund für Erstattung künstlicher Ernährung nicht mehr aus"

Bonn / Berlin - Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat am 15. Februar eine Ergänzung der Arzneimittelrichtlinien verabschiedet, die die Verordnungsfähigkeit von künstlicher Ernährung für ambulant betreute Patienten regelt. Die Richtlinie schließt eine Reihe schwer Kranker vom Recht auf Erstattung künstlicher Nahrung aus. Außerdem bietet sie den behandelnden Ärzten keine Hilfestellung, sondern stellt sie vor praktische und ethische Probleme. Der Diätverband e. V., Bonn, fordert das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) daher auf, diese Richtlinien erneut zu beanstanden.

Bereits im vergangenen Jahr hatte das BMGS eine Vorläufer-Fassung der jetzt verabschiedeten Beschluss-Vorlage aus formalen Gründen beanstandet. Es bemängelte unter anderem die fehlende Anhörung der Betroffenen. Das BMGS empfahl zudem, klarere Vorgaben für den verordnenden Arzt zu treffen und bei seltenen, nicht im Indikationsindex aufgeführten Krankheiten den bloßen Verweis auf "vergleichbare Konstellationen" zu vermeiden. Die durch den G-BA jetzt vorgelegten Richtlinien erfüllen diese Kriterien, laut Diätverband, erneut nicht.

Rechtliche Bedenken:

Der G-BA geht zudem von falschen Voraussetzungen aus: Bilanzierte Diäten zur diätetischen Behandlung einer krankheitsbedingten Mangelernährung werden vom G-BA wie Medikamente bewertet. Es wird ein pharmakologischer Einfluss auf den Krankheitsverlauf gefordert, den Lebensmittel jedoch weder haben können, noch haben dürfen.

Der G-BA interpretiert die Frage einer "ausnahmsweisen Verordnungsfähigkeit" enteraler Nahrung (§ 31 SGB V) als Auftrag, aus allen Krankheitsfällen, in welchen eine Ernährungstherapie eigentlich medizinisch angezeigt wäre, solche auszuwählen, bei denen die Ernährungstherapie noch zusätzliche Vorteile in Bezug auf den Krankheitsverlauf mit sich bringt.

Der G-BA schließt bewährte und lange verordnete Produkte aus, jedoch ohne den in § 92 SGB V geforderten Beweis des mangelnden therapeutischen Nutzens, mangelnder medizinischer Notwendigkeit oder der Unwirtschaftlichkeit der ausgeschlossenen Produkte nach dem allgemein anerkannten Stand der Kenntnis zu erbringen. Er überschreite damit seinen Ermessensspielraum, so der Diätverband e. V.

Ethische Bedenken:

Im neuen Entwurf werden Patienten mit vergleichbaren Erkrankungen und Symptomen ungleich behandelt. Patienten, die z. B. an einer durch Krebs ausgelösten Auszehrung, der Tumorkachexie, leiden, können unter bestimmten Voraussetzungen eine enterale Ernährungstherapie erhalten, solche, die z. B. an einer pulmonalen oder kardialen Kachexie leiden, grundsätzlich nicht.

Ferner erhalten ambulante Patienten mit Tumorkachexie erst dann künstliche Nahrung, wenn sie auf einen Bodymass-Index von 21 abgemagert sind, obwohl wissenschaftlich unbestritten ist, dass gerade Krebspatienten schon bei einem relativ geringen Gewichtsverlust nachweislich schlechter auf Therapien ansprechen.

Die Regelungen bringen Vertragsärzte zudem auch in unlösbare ethische Konflikte, da unklar bleibt, wie sie Patienten behandeln sollen, die nicht in der Lage sind, sich angemessen zu ernähren oder die bereits mangelernährt sind, bei denen jedoch keine der vom Bundesausschuss genannten 23 Krankheiten vorliegt. Soll ein Arzt zusehen und abwarten, bis der Patient im Laufe des Krankheitsgeschehens zusätzlich an einer in der Richtlinie aufgeführten Krankheiten leidet oder eine Krankenhauseinweisung auf Grund der krankheitsbedingten Mangelernährung erfolgt?

Der Diätverband kritisiert, dass der Arzt keinerlei therapeutischen Spielraum hat, wenn ein Patient an einer der 23 gelisteten Krankheitsgruppen leidet. Entgegen anderslautenden Aussagen des G-BA bieten die Regelungen auch bei nicht gelisteten Krankheiten keinerlei Flexibilität. Dies führt zu unzuträglichen Folgen in der Patientenversorgung.

Mangelhafte Praktikabilität:

Die Neuregelung, die eine zehnzeilige Vorschrift ersetzt, umfasst etwa 40 Seiten mit umfangreichen Tabellen, die sich teilweise widersprechen. Die Anwendung der Vorgaben überfordert selbst Experten. Erst recht sind praktische Ärzte überfordert, die nur wenige betroffene Patienten betreuen.

"Die Systematik gleicht einem Hürdenlauf!", so der Diätverband. Der Arzt müsse zur Entscheidungsfindung umfangreiche Tabellenwerke wälzen. Teilweise sind bestimmte Verordnungsvoraussetzungen grundsätzlich nicht feststellbar. Die Regelungen sind daher in vielen Bereichen praktisch nicht umsetzbar.

(Zeichen: 4.263)

Für Rückfragen:

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