08.03.2005

Neue Sparfassung der Arzneimittel-Richtlinie betreffend künstliche Ernährung geplant

Erneut versucht der Gemeinsame Bundesausschuss Einsparungen zu realisieren: zu Lasten chronisch Kranker, Alter und Behinderter

Der Gemeinsame Bundesausschuss mit Sitz in Siegburg bei Bonn hat am 15.2.2005 zum dritten Mal den Entwurf einer neuen Arzneimittelrichtlinie vorgelegt. Deren Inhalt hat höchst besorgte Patientenvertreter und Verbände auf den Plan gerufen: Sie bitten das Bundesgesundheitsministerium um Hilfe.

Es geht um den sensiblen Bereich der künstlichen Ernährung außerhalb eines Krankenhauses (also etwa in Pflegeheimen oder in der ambulanten Krebstherapie).

Norbert Pahne, der als Geschäftsführer den Diätverband vertritt, erklärt: "Die in den letzten Jahren zu diesem Thema vom Bundesausschuss vorgelegten neuen Richtlinien waren jeweils mit schweren inhaltlichen und formalen Mängeln behaftet. Schon zweimal hat daher das Bundesgesundheitsministerium die geplante Arzneimittelrichtlinie beanstanden müssen."

Zuletzt hat das Ministerium im Januar 2004 auch auf ethische Probleme in der geplanten Richtlinie hingewiesen und den Bundesausschuss zu einer breiten fachlichen Diskussion mit den Betroffenen bzw. deren Verbänden aufgefordert. Die Verbände sind daraufhin jedoch lediglich angehört worden und konnten auf die massiven Probleme und Bedenken hinweisen.

Pahne bedauert, dass der Bundesausschuss es trotzdem nicht für notwendig gehalten habe, eine Diskussion mit den Fachverbänden zu führen, sondern nun unbeirrt die kaum veränderte Richtlinie ein drittes Mal vorgelegt habe. Die einzige Möglichkeit, Schaden von den betroffenen Patienten abzuwenden, sei nun eine dritte Beanstandung der geplanten Richtlinie durch das Ministerium .

Der irritierte Patient stellt sich die Frage: Was ist eigentlich der "Gemeinsame Bundesausschusses", wieso erstellt er eine Richtlinie und wie ist seine starre Haltung zu erklären?

Das Gesetz (§ 31 fünftes Sozialgesetzbuch) legt nicht selbst fest, welche gesetzlich Krankenversicherten mit künstlicher Nahrung versorgt werden dürfen. Dies wird durch eine "für Ärzte verbindlichen" Richtlinie bestimmt. Das wäre noch nichts Besonderes. Aber: Die Erstellung der Richtlinie wurde einer kleinen Gruppe von Personen übertragen. Es handelt sich um Krankenkassenvertreter und Ärzte, die im Gemeinsamen Bundesausschuss über den Inhalt der Richtlinie entscheiden. Auf sie allein wurde die Aufgabe übertragen, in der Arzneimittelrichtlinie festzulegen, in welchen Fällen gesetzlich Versicherte außerhalb eines Krankenhauses mit künstlicher Ernährung (sog. enterale Nahrung) versorgt werden dürfen.

Durch diese Verlagerung einer für viele besonders Hilfsbedürftige lebenswichtigen Entscheidung auf den genanten Personenkreis besteht jedoch die Gefahr, dass deren Blick für die Bedürfnisse der betroffenen Patienten getrübt ist: Krankenkassen, die beständig von der Politik zu Einsparungen aufgefordert werden, haben hier die Möglichkeit erhalten, selbst auf ihre Ausgaben Einfluss zu nehmen.

Die einzige Möglichkeit, die den Patienten und der Politik verbleibt, eine so entstehende neue Richtlinie zu verhindern, ist eine "Beanstandung" durch das Gesundheitsministerium.

Von der Richtlinie betroffen sind bundesweit etwa 100.000 Patienten, die zumeist wegen einer schweren chronischen Krankheit oder etwa aufgrund einer Krebserkrankung stark abgemagert sind. Jährlich werden für sie bisher etwa 500 Mio. Euro ausgegeben.

Grundlage ist die bisher noch geltende Richtlinie, die im Kern aus einem Satz besteht und dem behandelnden Arzt weitgehend die Entscheidung überlässt, ob er die künstliche Ernährung seines Patienten für notwendig hält.

Gerade diese Richtlinie ist dem Bundesausschuss seit drei Jahren ein Dorn im Auge. Er will sie durch ein bürokratisches Üngetüm ersetzen, das auf 40 Seiten so zahlreiche Einschränkungen und Tabellen enthält, dass der bisher vorhandene Ermessens-Spielraum für die Ärzte praktisch nicht mehr existiert.

Das Märchen von der Auffangregelung

Der Vorsitzende des Bundesausschusses, Dr. Rainer Hess, hat dazu jüngst mehrfach erklärt, er verstehe die Aufregung um die geplante Richtlinie nicht. Sie enthalte doch eine Auffangregelung bzw. Öffnungsklausel: Durch sie käme jeder Patient, der enterale Nahrung benötige, zu seinem Recht.

Was für eine Auffangregelung Hess meint, bleibt allerdings unklar. Norbert Pahne erklärt dies an einem Beispiel: "Für zahlreiche Tumorkranke soll die Verordnungsfähigkeit von enteraler Nahrung ausgeschlossen werden, auch wenn bei ihnen dramatischer Gewichtsverlust vorliegt oder auch bereits massive Anzeichen von Mangelernährung bestehen. In der neuen Richtlinie heißt es dazu ausdrücklich, dass "nur Mangelernährung allein" kein Grund für die Verordnung von künstlicher Nahrung sei."

Nur ausnahmsweise soll noch enterale Nahrung verordnet werden können, wenn nämlich der Patient entweder

- im Koma liegt oder
- eine vollständige Störung der Schluckfunktion hat oder
- eine mechanisch bedingte Störung der normalen Nahrungsaufnahme vorliegt (z.B. bei Tumoren im Mund).

Bei dieser Konstruktion davon zu sprechen, dass es eine Auffangregelung gebe, sei zynisch, erklärt Pahne. Die von Hess angesprochene Auffangregelung sei in der vorgelegten Richtlinie tatsächlich nicht enthalten.

Die vom Gesundheitsministerium bei der letzten Beanstandung angesprochenen ethischen Bedenken gegen die neue Richtlinie sind laut Pahne, der sich auch auf Stellungnahmen von Patientenvertretern beruft, immer noch vorhanden.

Das BMGS sei dringend gefordert, die geplante Richtlinie erneut zu beanstanden.

Es bleibt abzuwarten, wie das Ministerium nun reagiert.

(Zeichen: 4.886)

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